Dehnen ja oder nein?
Dehnen oder Stretching ist unter den gelehrten ein kontrovers diskutiertes Thema. Zu keinem anderen Thema gibt es so viele Mythen und Halbwahrheiten wie über das Dehnen.
Aus diesem Grund möchte ich dir die aktuellen Forschungsergebnisse und Empfehlungen über das Dehnen eines Muskels in diesem Blogbeitrag beschreiben.
Zu aller erst: Dehnen kann in zwei Arten unterteilt werden
1) Statisches Dehnen: Hierbei wird die Dehnposition kontrolliert und für eine bestimmte Zeit eingenommen. Meine Empfehlung bei der statischen Dehnung lautet 2-3 Minuten und nicht 30 Sekunden - was viele Menschen annehmen.
2) Dynamisches Dehnen: Das dynamische Dehnen wird häufig vor dem Sport durchgeführt und ist eine Dehnung mit wiederholten federnden Bewegungen.
Die erste Frage, die man sich stellen sollte: Was will ich mit dem Dehnen erreichen?
Zwei wesentliche Gründe für eine Dehnung ist die Steigerung der Beweglichkeit und die kurzfristige Spannungsreduktion der Muskulatur. Dehnen ist ein super Werkzeug, um deine Beweglichkeit in deinem Gelenk zu verbessern. Für JEDEN Menschen ist eine „normale“ Gelenksbeweglichkeit wie beispielsweise in Hüftgelenk, Sprunggelenk oder Brustwirbelsäule sehr wichtig.
Bei einer reduzierten Beweglichkeit z.B. des Hüftgelenks, werden angrenzende Gelenke mehr belastet, da sie die mangelnde Beweglichkeit ausgleichen müssen. In diesem Fall, wird häufig die untere Lendenwirbelsäule vermehrt belastet.
Ist die Beweglichkeit im Hüftgelenk schon so reduziert, das eine eigenständige aktive Dehnung nicht mehr schmerzfrei möglich ist, kann eine passive Dehnung durch einen Therapeuten Abhilfe schaffen und somit die Beweglichkeit verbessern, bis die eigenständige Dehnung für den Patienten wieder möglich ist.
Ist das der Fall? Kontaktiere mich für einen Termin in meiner Praxis und wir schauen uns gemeinsam an, warum die Beweglichkeit im Gelenk so eingeschränkt ist und machen einen auf deine Bedürfnisse abgestimmten Therapieplan.
Was passiert beim Dehnen im Muskel?
Der Muskel besteht aus quergestreiften Muskelfasern, die in parallel verlaufende Faserbündel gegliedert sind. Jede Muskelfaser enthält Myofibrillen, die wiederum aus Aktin, Myosin und Titinfilamenten bestehen.
Bei einer Dehnung werden die kontraktilen Elemente (Aktin und Myosin) auseinandergezogen. Das Bindegewebe um den Muskel (Faszie), leistet Widerstand und stellt sicher, dass der Muskel durch die Dehnung nicht geschädigt wird. Die elastischen Titinfilamente sorgen dafür, dass Aktin- und Myosinfilamente nicht zu weit voneinander entfernt werden und bringen den Muskel nach der Dehnung wieder in seine ursprüngliche Form.
Was du dir davon merken solltest: durch das Dehnen kommt es zu KEINER Längenzunahme im Muskel. Regelmäßiges Dehnen bewirkt eine erhöhte Dehnungstoleranz der elastischen Strukturen im und um den Muskel. Dadurch wird die Beweglichkeit im Gelenk verbessert.
Der richtige Zeitpunkt ist entscheidend!
Dehnen vor dem Sport macht auf jeden Fall Sinn, wenn eine gute Beweglichkeit für den Sport erforderlich ist. Bei der rhythmischen Gymnastik beispielsweise, ist die Beweglichkeit ein wesentliches Element.
Bei Sportarten mit schneller Kraftentwicklung haben Studien gezeigt, dass sich Dehnen vor dem Sport negativ auf die Entwicklung der Schnellkraft der gedehnten Muskulatur auswirkt. Deshalb sollte bei Kraftsport sowie Sportarten mit Sprüngen oder Sprints, statische Dehnungsübungen direkt vor dem Sport vermieden werden.
Es stimmt leider nicht, dass Dehnen einem Muskelkater entgegenwirken kann. Im Gegenteil!! Insbesondere nach intensiven Trainingseinheiten sollte man Dehnen nach dem Sport vermeiden, da es durch die intensive Belastung zu Mikroeinrisse im Muskel (=Muskelkater) kommt. Diese winzigen Verletzungen können durch das Dehnen direkt nach dem Sport verstärkt werden.
Aus diesem Grund empfehle ich dir Dehnungen erst 2-3 Stunden nach dem Sport oder am nächsten Tag durchzuführen. Dann hat das Dehnen auch den gewünschten Effekt.
Was du aber machen kannst, ist unmittelbar nach dem Sport dich mit einer FASZIENROLLE bearbeiten!
Wie dehnt man richtig?
- statisches Dehnen
Durch Dehnungsübungen kann die Beweglichkeit in den Gelenken verbessert werden.
Ich empfehle statisches Dehnen nach dem Sport für mindestens 120 Sekunden und 3 Durchgängen pro Muskelgruppe. Nimm dafür die gewünschte Dehnposition ein und positioniere deinen Körper so, dass du einen leichten Dehnungsreiz verspürst. Es darf auch ziehen, sollte aber keinen Schmerz auslösen. Bleibe nun für mindestens 120 Sekunden in der Position und gehe danach langsam wieder aus der Dehnung raus. Wiederhole dies 3 Mal pro Muskelgruppe auf jeder Seite.
Dehnen vor dem Sport ist sinnvoll, wenn für die Sportart eine gewisse Beweglichkeit von Vorteil ist. Ansonsten empfehle ich dir das Dehnen als eigene „Einheit“ zu sehen und an einem trainingsfreien Tag oder 2-3 Stunden nach dem Sport durchzuführen.
Das Problem hinter der reduzierten Dehnfähigkeit...
… ist häufig eine muskuläre Dysbalance! Dies bedeutet, dass ein Muskel im Vergleich zu seinem Gegenspieler viel kräftiger ist und meist eine erhöhte Muskelspannung aufweist. Ein Muskel hat dabei dauerhaft mehr Spannung, der andere eher zu wenig. Dies führt zu ungünstigen Spannungsverhältnissen im Gelenk. Diese veränderte Spannung kann die Beweglichkeit einschränken und zu Gelenksbeschwerden führen.
Ein gutes Beispiel ist im Fitnessstudio bei einigen Kraftsportlern zu beobachten. Viele Sportler konzentrieren sich primär auf das Training der Brustmuskulatur, durch die vermehrte Spannung in der Brustmuskulatur kommt es zu einem Rundrücken. Bildlich kann man sich einen Gorilla vorstellen. Bei mangelnden Ausgleichsbewegungen nimmt ebenso die Beweglichkeit der Schulter und Brustwirbelsäule ab. Dies bringt leider auch ungünstige Spannungsverhältnisse im Gelenk mit sich und geht häufig mit Beschwerden, beispielsweise der Schulter, einher.
Bei muskulären Dysbalancen ist ein gezieltes Training der abgeschwächten Muskulatur und die Steigerung der Dehnfähigkeit des Gegenspielers sehr wichtig. Die Lösung des Problems beim Kraftsportler wäre eine Kräftigung der Rückenmuskulatur sowie hinteren Schultermuskulatur und das Dehnen der Brustmuskulatur. Dies ist natürlich nur ein plakatives Beispiel und sollte für jeden Sportler individuell analysiert und behandelt werden.
Ich hoffe, ich konnte dir mit diesem Blogbeitrag einen guten Überblick zum Thema Dehnen geben. Rund um das Dehnen gibt es immer wieder neue Erkenntnisse und Studien. Ich habe versucht, die aktuellen Forschungsergebnisse und Empfehlungen zusammenzufassen. Was heute noch in der Forschung als Empfehlung gilt, kann morgen schon wieder falsch sein.